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  • Gruppenbild der 18. Jahrestagung

    Kinderklinik lud zur Jahrestagung zu Adipositas bei jungen Menschen ein

    Es gibt noch viel zu tun, wenn es um eine bessere Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit starkem Übergewicht (Adipositas) geht. In den Kommunen...

Zu diesem Schluss kommen die Mitglieder der Konsensgruppe Adipositasschulung für Kinder und Jugendliche e. V. (KgAS), die sich zu ihrer 18. Jahresstagung am Klinikum Nürnberg und am Klinikum Fürth getroffen haben. Aus der „Adler-Perspektive“, so war die Tagung überschrieben, wollten sich Expert*innen aus Bereichen wie Medizin, Ernährung, Psychosoziale Dienste, Bewegung oder Elternschulung über das Thema Adipositas bei jungen Patient*innen austauschen. Der Titel spielte damit, dass einst die erste deutsche Eisenbahn, der Adler, die Tagungsstädte Nürnberg und Fürth verbunden hatte, und das Treffen zum anderen sozusagen ein Blick von oben auf die aktuellen Entwicklungen bieten wollte.

Fatale Nachwirkungen der Corona-Pandemie

Auch wenn aktuelle, repräsentative Erhebungen über die Zahl der Betroffenen noch fehlen (die letzten stammen aus dem Jahr 2017), eines stellten die Fachleute übereinstimmend fest: Die Pandemie hat insbesondere Kindern und Jugendlichen, die schon vor Corona ein zu hohes Körpergewicht aufwiesen, enorm zugesetzt. Nicht wenige von ihnen haben innerhalb von 20 Monaten 20 bis 30 Kilo zugenommen – wie viele Erwachsene übrigens auch. „Der Lockdown mit Homeschooling, geschlossenen Sportvereinen und gesperrten Spielplätzen oder das Kontaktverbot mit Altersgenossen haben dazu geführt, dass die Kinder und Jugendlichen kaum noch ihr Zimmer verlassen haben“, erklärt Dr. Katja Knab, Oberärztin an der Klinik für Neugeborene, Kinder und Jugendliche am Klinikum Nürnberg und im Vorstand der KgAS. Die Kinder- und Jugendärztin, Diabetologin und Ernährungsmedizinerin sieht die fatalen Auswirkungen der Pandemie beinahe täglich, sei es in der Klinik oder auch in der Adipositasberatungsstelle für Kinder am Klinikum, die sie gemeinsam mit dem Ernährungs- und Gesundheitswissenschaftler Gabriel Torbahn leitet.

Eine chronische Erkrankung mit gravierenden Folgen

Adipositas ist eine chronische Erkrankung - wer einmal in diesem Gewichtsbereich war, muss sein Leben lang aufpassen. Denn wenn der Körper erst einmal Fettzellen angelegt hat, dann wollen die gefüttert werden. Und wenn dem Körper ständig mehr Energie zugeführt wird, als er verbraucht, dann ist Übergewicht programmiert. Schon für Kinder und Jugendliche mit gravierenden Folgen: Das Herz-Kreislauf-System wird in Mitleidenschaft gezogen, es kommt zu Bluthochdruck, Überlastung des Herzmuskels, Stoffwechselproblemen, Typ 2-Diabetes oder auch einer Fettleber, um nur einige gesundheitliche Konsequenzen zu nennen. Dazu kommt noch die hohe psychische Belastung, wenn die Jungen und Mädchen wegen ihrer Leibesfülle gehänselt und gemobbt werden. „Das kann zu einer Suizidalität führen“, gibt Knab zu bedenken.

Was also tun? Medikamente wie zum Beispiel die neue „Wunderspritze“ gegen Adipositas werden mit Blick auf das doch hohe Nebenwirkungspotenzial und die Kosten sicher kein Königsweg sein. „Wenn überhaupt, kommen Medikamente nur als Zusatztherapie in Frage. Es braucht vor allem Angebote, die den Betroffenen und ihren Familien dabei helfen, den Lebensstil zu verändern“, sagt Gabriel Torbahn, der Vorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft Adipositas im Kindes- und Jugendalter der Deutschen Adipositas-Gesellschaft ist. Doch leider gibt es da – besonders in strukturarmen Regionen – noch viel zu wenig Möglichkeiten, meldeten auch die Teilnehmer*innen der Tagung zurück. Die Digitalisierung macht es möglich, mit Apps und Videokonferenzen ein Stück Unterstützung zu bieten, denn flächendeckende Präsenzschulungen sind nicht möglich. Einen großen Beitrag können aber Akteure auf kommunaler Ebene leisten, wenn sie sich stärker vernetzen. In Stuttgart, so erfuhren die Tagungsteilnehmer*innen, ist die Adipositasberatungsstelle beim Gesundheitsamt angesiedelt, das die Koordinierung und Vernetzung zum Beispiel mit Sportvereinen oder anderen kommunalen Strukturen übernimmt.

Spezielle Beratungsstelle und Kooperationsprojekte mit Stadt und Sportverein

In Nürnberg will die Adipositas-Beratungsstelle am Klinikum (Terminvereinbarung unter 0911/398-119555) ebenfalls die Zusammenarbeit mit der Stadt verstärken und zum Beispiel erreichen, dass schon bei den Schuleingangsuntersuchungen oder in weiteren von der Stadt betreuten Einrichtungen das Problem Adipositas aufgegriffen wird. Den Post SV haben Knab und Torbahn bereits für ein Bewegungsangebot gewinnen können. „Die betroffenen Kinder und Jugendlichen verbinden mit Bewegung fast nur negative Erfahrungen. Sie kommen nicht hinterher und dürfen sich meist auch noch blöde Sprüche vom Lehrer oder den Mitschülern anhören.“ Weg vom Leistungssport, hin zu Freude an der Bewegung heißt deshalb das Konzept, mit dem der Post SV die Kinder gewinnen will. Torbahn hofft, dass das Angebot für und die Nachfrage nach weiteren Bewegungsangeboten folgen. Ein anderes Erfolgsrezept stellte der gelernte Koch und Rapper Paul Denkhaus den Tagungsteilnehmer*innen vor. Er nimmt sozusagen Zutaten aus der Jugendkultur und serviert zum Beispiel in der Hip-Hop-Cooking-School seinen jungen Zuhörer*innen Ernährungswissen, das ins Ohr geht – ganz ohne erhobenen Zeigefinger.

Ein Gedanke ist Torbahn noch wichtig: Die „Schuldfrage“ ist nicht beim Individuum oder den Eltern zu suchen. „Das ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, da müssen wir uns alle an die Nase fassen. Fast jede und jeder weiß, was unter ernährungs- und gesundheitsbewusstem Verhalten zu verstehen ist und könnte mit gutem Beispiel vorangehen.“ Verletzende oder stigmatisierende Sprüche und Kommentare braucht deshalb niemand mit Adipositas, egal ob jung oder alt. (wi)

Foto: V. l.: Dr. Ines Gellhaus, 1. Vorsitzende der Konsensusgruppe Adipositasschulung für Kinder und Jugendliche (KgAS) sowie Dr. Katja Knab und Gabriel Torbahn vom Klinikum Nürnberg begrüßen die Gäste der 18. Jahrestagung der Konsensgruppe Adipositasschulung für Kinder und Jugendliche e. V. (KgAS).

Quelle: Giulia Iannicelli, Klinikum Nürnberg