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    Klinikseelsorger über seine Erfahrungen mit Komapatienten

    Anton Baier, Klinikseelsorger auf der internistischen Intensivstation 10/2, schreibt über das, was im Schweigen passiert.

Die Frage, was Komapatienten von ihrer Umwelt wahrnehmen und wie man sich mit ihnen verständigen kann, bewegt viele Menschen. Anton Baier, Klinikseelsorger auf der internistischen Intensivstation 10/2, schreibt über das, was im Schweigen passiert.

Wenn ein Mensch im Koma liegt, kann schnell der Satz fallen: Er bekommt nichts mit.

Hinter diesem Satz stecken viele Bedeutungen. Für die einen ist es fast eine Erleichterung, wenn dieser Mensch nichts mitbekommen würde. Denn im Koma zu liegen, geht einher mit einer schweren Erkrankung und mit Leid. Wie gut, wenn er davon nichts mitbekommt. In ähnlicher Weise könnten das die Behandelnden sehen. „Intensivmedizin hat körperverletzende Qualitäten“, hat einmal ein ärztlicher Kollege sein Tun beschrieben: Intubieren (einen Beatmungsschlauch in die Luftröhre legen), Venenkatheter (ein kleiner Schlauch, der in die Vene eingesetzt wird, um über einen zentralen Punkt Medikamente zuführen zu können), Absaugen, Eröffnen, Entlasten etc. Die meisten dieser Vorgänge sind wach nur schwer zu ertragen. Der Blick auf den Komapatienten, wenn man ihm für sein Überleben solches antun muss, mag da leichter sein, wenn er nichts mitbekommen würde. Nicht zuletzt ist da das eigene Verstummen der Angehörigen angesichts des Leides, das dem Patienten zugestoßen ist. Es kann im ersten Moment erleichternd sein, dass er nichts mitbekommt, weil man sich selbst so schwertut, etwas zu sagen. Die Wirklichkeit ist anders.

Beobachtung von Komapatienten

Das, was mit einem Komapatienten geschieht, zeigt eigentlich, dass er eine Menge mitbekommt: Behandlung, Versorgung, Pflege, Besuch, Zuspruch, Zuwendung. Es ist dem Umstand geschuldet, dass auf all das zwar Veränderungen in den medizinischen Werten erkannt werden können, aber eine persönliche Reaktion darauf kaum oder nicht wahrgenommen werden kann. Der Patient liegt im Koma und ist anscheinend unerreichbar.

Komapatienten auf der Intensivstation

Solange die akute intensivmedizinische Versorgung läuft, geht es vor allem um eine Frage: Was müssen wir, die medizinischen und pflegerischen Versorger, tun, um das körperliche Überleben dieses Menschen zu sichern? Wenn diese Frage mit Erfolg beantwortet ist, befindet sich der Patient in einer stabilen Lage: mindestens innerhalb der Intensivstation und mit ihren Versorgungsmöglichkeiten kann der Mensch vorerst leben. Mit anderen Worten: Er lebt jetzt in der Intensivstation. Wenn man ihn besucht ohne die Absicht, etwas an ihm zu machen, öffnet sich die Möglichkeit, wahrzunehmen, was er von sich zeigt. Dazu braucht es ein Hilfsmittel, das der Komapatient anbietet: Stille. Zwangsläufig schweigt der Patient. Was so seltsam einfach klingt, hat eine hohe Bedeutung. Miteinander still sein ist eine Form der Kommunikation. Man begegnet einander nicht auf der Ebene von Worten und Begriffen, sondern im gemeinsamen stillen Dasein. Solche Erfahrungen machen wir auch als wache Menschen, wenn wir eine besondere Erfahrung still miteinander wahrnehmen oder teilen. Manchmal kann das in einer Weise geschehen, dass wir darüber schwer Worte finden, aber trotzdem miteinander um ein inneres Berührtsein wissen.

In Stille beim Komapatienten

Das Stillsein des Komapatienten kann als Einladung angenommen werden, als Besuchender still bei ihm zu sein. Man kann das auch zuerst aussprechen, um sich selbst klarzumachen, worum es geht: Du bist still, und ich bin auch still. Ich möchte wahrnehmen, was in dieser Stille sichtbar werden will.

Manche Menschen im Koma erfahren das Dasein zugewandter Personen

Wenn man in dieser Haltung etwa 20 Minuten still bei einem Komapatienten verbringt, kann sich ein anderer Kontakt eröffnen. Die Wahrnehmung, was dieser Mensch von sich zeigt, wird geschärft. Das ist eine wichtige Veränderung auf der Beziehungsebene. Denn die medizinische und pflegerische Begegnung mit dem Komapatienten stellt notwendigerweise das Machen in den Vordergrund: „Wir schauen, was wir für ihn machen können.“ Ein Mensch aber ist auf Dauer nicht auf Machbarkeit einschränkbar. Für das Leben und in besonderer Weise für das Überleben in belastenden Situationen ist die Resonanzfähigkeit entscheidend. Diese bedeutet: Was löst etwas in mir und was löse ich im anderen oder im Geschehen aus, in dem ich mich befinde? Auch wenn wir das bei einem Komapatienten nicht mit Sicherheit erfassen können, können wir ihm durch stilles Wahrnehmen zeigen, dass er uns berührt. Interviews mit erwachten Komapatienten haben gezeigt, dass manche (etwa 30 Prozent) in der Komaerfahrung etwas vom Dasein zugewandter Menschen um sie herum erfahren haben. Ebenso konnten Menschen, die sich still, zugewandt, mitfühlend und aufmerksam beim Komapatienten aufgehalten haben, etwas mit ihm erfahren. Dabei geht es nicht um Diagnostik und Prognosen, sondern um Anteilnahme und Wahrgenommenwerden.

Bedeutung des Umfelds für einen Komapatienten

Bedeutsam sind zwei Erkenntnisse. Erstens: Für Angehörige ist es wichtig, im Umfeld eines Komapatienten klare Ermutigung zu bekommen, sich zugewandt, aufmerksam und intuitiv unterstützend beim Patienten zu verhalten. Das stärkt ihre Selbstwirksamkeit in einer eher ohnmächtigen Erfahrung. Außerdem können Angehörige so einen Beitrag leisten, den Menschen hinter dem massiven Geschehen von Intensivmedizin und Koma nicht zu verlieren. Zweitens ist es für erwachte und im Wesentlichen wieder in ihr alltägliches Leben zurückkehrende ehemalige Komapatienten wichtig, danach einen Gesprächspartner zu haben, der ihnen Anteilnahme und Beschreibungen von Wahrnehmungen geben kann, in denen der ehemalige Patient erkennen kann, dass er nicht nicht anwesend war, mit anderen Worten: dass er eben gerade nicht nichts mitbekommen hat. Für etwa 30 Prozent der erwachten Komapatienten ist das von Bedeutung.

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