Notfallservice
  • Geriatrie als Herzenssache: Interview mit Chefarzt Prof. Markus Gosch

    Fach mit Zukunft: Univ.-Prof. Dr. Markus Gosch blickt auf seine Zeit als Präsident der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie zurück.

29.12.2025

Das Klinikum Nürnberg verfügt über eine der größten Akutgeriatrien. Ihr Chefarzt Univ.-Prof. Dr. Markus Gosch war bis September 2025 Präsident der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie (DGG). In seiner Präsidentschaft setzte er sich stark für ein positives öffentliches Bild der Altersmedizin ein. Was ihm dabei am Herzen liegt, berichtet er im Interview.

Herr Professor Gosch, Sie standen zwei Jahre an der Spitze der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie, einer großen ärztlichen Fachgesellschaft. Ihre Bilanz?

Prof. Markus Gosch: Es war spannend und fordernd zugleich. Ich habe wertvolle Kontakte geknüpft, Kongresse organisiert und Ideen eingebracht – das hat mir Freude gemacht. Anstrengend war vor allem die Auseinandersetzung mit der Krankenhausreform. Gemeinsam mit dem Bundesverband Geriatrie haben wir gegen die Benachteiligung der Altersmedizin und handwerkliche Fehler im Gesetz gekämpft. Was ich in diesen zwei Jahren gelernt habe: Die Geriatrie genießt überall Anerkennung – doch es fehlt massiv an Wissen darüber, was moderne Geriatrie wirklich ausmacht. Das ist in der Politik, in der Öffentlichkeit und selbst innerhalb der Medizin so.

Was also ist moderne Geriatrie?

Gosch: Eine hochkomplexe medizinische Disziplin, die spezialisiertes Wissen und ein großes Team erfordert. Das wird oft übersehen. Geriatrie ist so spezialisiert, dass wir sie nicht flächendeckend anbieten können – ähnlich wie die Herzchirurgie. Für die Versorgung in der Breite brauchen wir ein abgestuftes Konzept, so wie es die Krankenhausreform zurzeit mit den sogenannten sektorenübergreifenden Versorgungseinrichtungen entwickeln will. Dabei müssen wir jedoch verhindern, eine Zwei-Klassen-Medizin zu schaffen. Es darf nicht heißen: Für hochbetagte, multimorbide Patienten reicht ein kleines Haus mit einfacher Ausstattung, während der fittere Senior im Schwerpunkthaus behandelt wird. Hier gibt es noch viele offene Fragen in der Gesundheitspolitik, bei denen wir Geriater uns einbringen müssen.

Welche Themen haben Sie Ihrem Nachfolger in der DGG, Prof. Michael Denkinger aus Ulm, noch übergeben?

Gosch: Die ärztliche Weiterbildungsordnung bleibt ein wichtiges Anliegen. Wir setzen uns für eine Facharztweiterbildung in der Geriatrie ein. Die bisherige 18-monatige Zusatzweiterbildung ist zu kurz, um Qualität zu sichern. Außerdem müssen wir die Vergütungs- und Versorgungsstrukturen an die Zukunft anpassen. Wir brauchen eine stärkere Verankerung der Geriatrie im ambulanten Bereich. Im Krankenhaus wird die Geriatrie in den Vergütungsstrukturen oft auf die Frühkomplexbehandlung reduziert. Dabei kommen am Klinikum Nürnberg 90 Prozent unserer geriatrischen Patienten über die Notaufnahme. Ihre stationäre Versorgung erfordert viel Zeit und Expertise, doch die Erlöse decken das nicht ab.

Der CDU-Gesundheitspolitiker Dr. Hendrik Streeck sorgte im November 2025 für Empörung, als er in den Medien forderte, Hochbetagten keine teuren Medikamente zu verordnen. Sie haben solche Altersdiskriminierung oft kritisiert. Welcher Blick auf alte Patienten ist Ihnen wichtig?

Gosch: Die Medizin darf nicht durch Altersgrenzen Medikamente oder Operationen verweigern. Es geht immer um den einzelnen Menschen. Unsere Patienten haben ihre Geschichte, ihre Bedürfnisse und Wünsche – auch im hohen Alter. Diese Wünsche sind so vielfältig wie das Altern selbst. Wir müssen empathisch auf sie eingehen und herausfinden, was zum Einzelnen jeweils passt. Dieser ganzheitliche Blick macht die Geriatrie so spannend. Ich bin 59 und sehe Pflegeheimbewohner, die jünger sind als ich, und 95-Jährige, die mir die Welt erklären. Die vier ethischen Grundprinzipien der Medizin – Gutes tun, nicht schaden, Autonomie achten und Gerechtigkeit wahren – gelten unabhängig vom Alter. Wer sie beachtet, macht gute Medizin.

Streeck erklärte später, er habe auf Überversorgung am Lebensende durch falsche Anreize hinweisen wollen.

Gosch: Unser kostengetriebenes Gesundheitssystem kann freilich zu Unter- und Überversorgung führen. Ich nenne es eher Fehlversorgung. Bei alten Menschen fehlt oft die Zeit für Gespräche, und man greift lieber zu teuren Maßnahmen, die vielleicht Lebenszeit, aber keine Lebensqualität bringen. Dass das Leben endlich ist, wissen wir alle. Vor dieser Tatsache allein haben die meisten Menschen keine Angst, sondern ihre Fragen und Sorgen drehen sich eigentlich um den Tod. Das wird manchmal in der Medizin übergangen.

Sie werden bis heute mit einem Interview von 2023 zitiert, in dem es unter dem Titel „Haha fürs Herz“ um Humor im Heilungsprozess ging. Worüber lachen Sie selbst gern?

Gosch: Kürzlich war ich im Kabarett Simpl in Wien – zwei Stunden Lachen am Stück. Ich mag Klamauk, Alltagsgeschichten und auch Selbstironie. Meine Locken faszinieren zum Beispiel häufig die älteren Damen auf der Station, da lache ich gerne mit. Einer der Gründe, warum ich so gern im Krankenhaus arbeite, ist das Team, mit dem man gemeinsam lachen kann. In der Geriatrie pflege ich Humor und einen lockeren Ton, sei es bei Visiten, im Team oder mit den Patienten. Unsere Medizinstudierenden der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität fragen mich manchmal erstaunt, warum die Patienten auf Station bei uns so gut gelaunt sind. Humor spielt in der Medizin eine große Rolle. Er erleichtert die Zusammenarbeit und hilft, schambehaftete Themen anzusprechen. Natürlich braucht es Fingerspitzengefühl, aber richtig eingesetzt tut Humor allen gut.

Bild: Univ.-Prof. Dr. Markus Gosch ist Klinikdirektor der Klinik für Innere Medizin 2, Schwerpunkt Geriatrie, am Klinikum Nürnberg.

Foto: Jasmin Szabo, Klinikum Nürnberg

 

/news/geriatrie-als-herzenssache-interview-mit-chefarzt-prof-markus-gosch/