Notfallservice
  • Die 3-jährige Merle stützt sich mit den Händen auf einer Rutsche ab. Sie lacht dabei in die Kamera.

    Patientengeschichte

    Kleiner Unfall mit fatalen Folgen

    Klinik für Kinderchirurgie und Kinderurologie

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„Wir haben uns gefühlt, wie die Tiger im Käfig“

Dr. Karl Bodenschatz, Klinik für Kinderchirurgie

Die Eltern der dreijährigen Merle W. bekommen heute noch Gänsehaut, wenn sie über den 6. Februar 2021 sprechen. Nach einem Unfall entfernte ein Ärzteteam des Klinikums Nürnberg in einem sechsstündigen Eingriff einen Fremdkörper aus Merles Hinterkopf – und rettete dem Mädchen das Leben.

Einige Stunden zuvor hatte Merle zu Hause im Wohnzimmer gespielt. Die Dreijährige rutschte dabei von der Sofalehne ab und stieß mit dem Kopf auf ein nahestehendes Windlicht. Die Eltern reagierten schnell, drückten die blutende Schnittverletzung am Hinterkopf ab und verständigten den Notdienst. Der war innerhalb weniger Minuten vor Ort. Die Rettungssanitäter entfernten Glassplitter aus der Wunde. „Merle war dabei ruhig, eher zu ruhig für ihr Wesen“, erzählt Frau W. rückblickend.

Nicht ungewöhnlich für ein Kleinkind, weiß sie heute. Denn oft stehen Kinder in so einer Situation zunächst unter Schock. „Kinder haben keine Erfahrung mit Verletzungen oder Schmerzen und reagieren auf einen Unfall oft sehr spät“, weiß Dr. Karl Bodenschatz, Leiter der Klinik für Kinderchirurgie und –urologie im Klinikum Nürnberg, dessen Ärzteteam Merle anschließend behandelte.

Als die Dreijährige in der Kindernotaufnahme eintrifft, diagnostizieren die Ärzte eine zweieinhalb Zentimeter große Wunde. Merle wird in den Operationssaal gebracht. Zu diesem Zeitpunkt gehen die Eltern noch von einer Platzwunde aus. Doch schon während der Wunderversorgung wird deutlich: Die Verletzung ist viel größer als gedacht. Die Ärzte stellen bei Merle eine tiefe Wunde fest, aus der bereits Körperflüssigkeit austritt. Der Zustand des Mädchens verschlechtert sich zunehmend, sie wird instabil.

Daraufhin handeln die Ärzte sofort und führen ein CT, ein medizinisches Verfahren zur Darstellung von Körperstrukturen, durch. Zu diesem ziehen sie die Experten der Klinik für Neurochirurgie hinzu. Die stellen fest, dass ein Glassplitter bis in den Bereich des Kleinhirns des Mädchens gelangt ist. Der anschließende Eingriff dauert sechs Stunden. „Hätten die Ärzte Merle nicht so gründlich untersucht, wäre es anders ausgegangen“, ist sich Herr W. der Situation bewusst.

Kinder reagieren bei Unfällen anders als Erwachsene

„Kinder können Blutverluste zunächst gut kompensieren, kommen dann aber sehr schnell in eine lebensbedrohliche Lage.“, sagt Bodenschatz. Die Folge: Die Zeit für eine klinische Versorgung wird knapp. In diesem Zeitfenster müssen die Ärzte den Grad der Verletzung richtig beurteilen und agieren. Auch die Eltern müssen mitbetreut werden. Meist sind sie sehr in Sorge.

Im Klinikum Nürnberg wird bei Bedarf deshalb die Klinik-Seelsorge hinzugezogen. „Als uns die Seelsorger vorgestellt wurden, wurde uns bewusst, wie knapp es um Merle steht“, sagt Frau W. „Wir haben uns gefühlt, wie die Tiger im Käfig“, beschreibt sie die Situation rückblickend.

Die Dreijährige überstand den schwierigen Eingriff gut. Einige Tage musste sie noch auf der Kinderintensivstation der Klinik für Neugeborene, Kinder und Jugendliche beobachtet werden. Heute erinnert nur noch eine Narbe am Hinterkopf an den Unfall. Und der neue Kinder-Notfall-Koffer, mit dem Merle die Familienmitglieder und sämtliche Kuscheltiere verarztet.