Notfallservice
  • Das Symbolbild zeigt ein sehr schlankes Mädchen. Es sitzt vor dem Bett am Fußboden und hält sich den Bauch.

    Patientengeschichte

    Essstörungen bei Kindern & Jugendlichen

    Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie im Kindes- und Jugendalter

„Meine innere Stimme sagt, ich bin zu dick“

Drei Tage hat sich Kyra S. zeitgenommen, um die wohl schwierigste Entscheidung ihres Lebens zu treffen. Drei Tage, die ihr aufgrund des körperlichen Zustands das Leben hätten kosten können. Ihre Eltern hatten die 14-Jährige vor die Wahl gestellt: „Entweder, du gehst ins Klinikum Nürnberg und lässt deine Essstörung behandeln. Oder Du wirst sterben“.

39,6 Kilogramm bei einer Größe von 1,70 Meter. So viel oder besser gesagt, so wenig, wog Kyra an dem Tag, als sie sich dafür entschied, weiterleben zu wollen. Die Gedanken der 14-Jährigen hatten sich monatelang nur um eines gedreht: abnehmen. Statt Freunde zu treffen, nutzte die Schülerin während des Lockdowns 2020 jede Gelegenheit, um Kalorien zu verbrennen. Zur Verwunderung ihrer Eltern ging sie stundenlang spazieren, war ständig in Bewegung. „Ich habe mich viel mit meinen Freundinnen verglichen, die waren in meinen Augen dünn. Dass ich deutlich größer bin, habe ich nie bedacht“. Müdigkeit und die fehlende Energie ignorierte sie. „Die Krankheit hat mich vollständig eingenommen“, weiß das Mädchen heute.

Als sich die Lage zuspitzte, holten sich die Eltern Rat beim Kinderarzt. Der schlägt nach der Untersuchung Alarm. Denn der Verdacht hat sich bestätigt: Kyra leidet nicht nur an einer Essstörung. Ihr körperlicher Zustand ist bereits lebensbedrohlich.

Die erste Woche nach der Entscheidung, sich behandeln zu lassen, verbringt sie in der Kinderklinik des Klinikums Nürnberg. Sie hat strenge Bettruhe, selbst beim Duschen verliert sie zu viele Kalorien. Nach einigen Untersuchungen wird der Jugendlichen klar, in welchem Zustand sie sich befindet, denn um ihr Herz hat sich Wasser angesammelt. Die nächsten sieben Wochen verbringt Kyra in der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie im Kindes- und Jugendalter. Sie ist ununterbrochen müde, friert und hat die Hälfte ihrer Haare verloren. Ihr Körper hat die Pubertät und damit auch die Regelblutung eingestellt. „Ich weiß nicht, ob ich noch Kinder kriegen kann“, ist sich die junge Frau heute der Situation bewusst. Dank Stufenplan nimmt Kyra langsam zu und erzielt Erfolge. Kurz vor Weihnachten wird sie entlassen. Zu Hause fällt sie jedoch in alte Muster, innerhalb einer Woche verliert sie wieder fünf Kilo.

Die Tagesklinik des Klinikums nimmt sie auf. Seit Januar dieses Jahres kämpft sie dort täglich gegen sich selbst. „Ich habe teilweise immer noch Angst vor dem Essen“, erklärt sie. Die 14-Jährige macht jedoch Fortschritte. Mittlerweile wiegt sie 46 Kilogramm und stärkt dank Therapien ihre Körperwahrnehmung. „Mein Essensplan ist voll, ich habe jedoch einen sehr guten Stoffwechsel und nehme schwer zu“, weiß Kyra.

Trotz ihrer zierlichen Erscheinung wirkt die Patientin außergewöhnlich reif. „Ich habe schon einige Entscheidungen getroffen und eine lange Geschichte zu erzählen“, sagt sie. Warum sie überhaupt von sich erzählt? „Die Menschen sollen verstehen, was die Krankheit mit einem macht“. Kyra möchte anderen Jugendlichen Mut machen, an sich selbst zu glauben. Denn die Essstörung war ein schleichender Prozess. „Als ich noch in der Schule war, habe ich mein Essen verschenkt“, erinnert sich die Jugendliche. Selbst wenn sie Wasser getrunken hatte, sagte die Stimme im Kopf „du bist zu dick“. Das daran etwas falsch war, habe sie lange nicht begriffen.

Nach der Entlassung aus der Therapie hat sie sich viel vorgenommen. Sie will unbedingt Koreanisch lernen, Architektur studieren und die Welt entdecken. Auch über eine Wohngruppe hat sie sich schon Gedanken gemacht. Doch vor ihr liegt noch ein langer Weg, denn Kyra hat ein Ziel: „Ich möchte wieder gesundwerden und nicht 24/7 dran denken, was ich esse.“