Gefahr Terroranschlag
Klinikum Nürnberg plant für den Ernstfall
Nizza, London, Manchester, Stockholm, Berlin, Würzburg, Ansbach – der Terror ist in Europa und auch in Deutschland angekommen. Die Gefahr eines Anschlags stellt nicht nur die Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienste vor strategische Herausforderungen. Auch Krankenhäuser müssen neue Konzepte entwickeln und einüben, um im Ernstfall viele Menschen gleichzeitig behandeln zu können, fachsprachlich „Massenanfall von Verletzten (MANV)“ genannt.
„Das Klinikum Nürnberg ist auf einen Massenanfall von Verletzten gut vorbereitet. Diese reicht von Alarmplänen für jede einzelne Klinik bis hin zu genauen Listen, welche und wie viele Materialen wir bevorraten“, berichtet Univ.-Prof. Dr. med. Hermann Josef Bail (2.v.l.), Chefarzt der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, Universitätsklinik der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität im Klinikum Nürnberg. |
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Erschwert wird die Situation dadurch, dass die Zahl der Verletzten zunächst nicht eingeschätzt werden kann. Und anders als bei Zugunfällen kommen die Verletzen nicht nur über die Rettungsdienste in die Notaufnahmen, bei hohen Verletztenzahlen ist auch mit vielen Selbsteinweisern zu rechnen. Dazu kommt die Unsicherheit: Sind noch Täter unterwegs? Sind auch die Kliniken ein Angriffsziel?
Zusammenarbeit an den Schnittstellen
Bail wünscht sich daher eine großangelegte gemeinsame Übung von Polizei, Feuerwehr, Rettungsdienst, Kliniken und Hilfsorganisationen. Um für den Worst-Case vorbereitet zu sein, denkt der Chefarzt an 80 bis 100 simulierte Verletzte: „Idealerweise an den Tagesrandzeiten und unangekündigt. So können wir die Schwachstellen in der Planung am besten finden.“
Das Klinikum in kommende Katastrophenübungen einzubeziehen, hält auch Volker Skrok (l.), Leitender Branddirektor der Berufsfeuerwehr Nürnberg für eine gute Idee: „Momentan enden die Übungen immer am Rettungswagen auf der grünen Wiese. Dabei muss gerade die Zusammenarbeit an den Schnittstellen geübt werden, damit alle wissen, was gerade geschieht.“ Im Terrorfall ist die Lage besonders unübersichtlich und das weitere Geschehen unvorhersehbar. Das macht eine enge Abstimmung mit allen Beteiligten notwendig.
Bislang ist eine solche Großübung nicht zuletzt an der Finanzierung gescheitert, da der Freistaat Bayern keine Mittel zur Verfügung stellt. „Die Krankenhäuser müssen die Planung und Umsetzung komplett selbst tragen, was kaum zu leisten ist“, beklagt Chefarzt Bail.
Lehren aus Berliner Anschlag
Dr. Sven Märdian (r.) weiß aus Erfahrung, wie wichtig eine eingeübte Vorbereitung ist. Er ist Leitender Oberarzt für Traumatologie und rekonstruktive Chirurgie an der Charité Berlin und hat mit dem Anschlag auf einen Berliner Weihnachtsmarkt am 19. Dezember 2016 den Ernstfall erlebt. Selbst mit vorangegangen Übungen verlief insbesondere die Kommunikation unter den Einsatzkräften stockend: „Wir hatten erst eine Stunde nach dem Anschlag den ersten Kontakt mit dem Feuerwehrlagedienst. Einen ‚heißen Draht‘ zwischen Krankenhaus und Einsatzkräften gab es nicht.“, berichtet Märdian.
Auch die Ressourcen im Krankenhaus wie freie Intensivbetten, bestimmte Blutkonserven oder steriles Operationsbesteck hätten bei noch höheren Verletztenzahlen zum Problem werden können. Eine Sorge, die Märdian im Vorfeld hatte, bestätigte sich nicht: „Trotz der Angst um das eigene Leben sind über 800 Kolleginnen und Kollegen zusätzlich zum Dienst erschienen. Wir hatten alles, nur keine Personalknappheit.“
Der Ablauf des Ernstfalls wurde genau analysiert und in die nächste Übung mit einbezogen. Der Berliner Senat führt regelmäßig unangekündigte Katastrophenübungen unter Einbeziehung aller Beteiligten durch. Die Kosten trägt in erster Linie die Stadt Berlin, die beteiligten Krankenhäuser stellen das freigestellte Personal.
10-Sekunden-Regel gegen Traumatisierung
Zusätzlich zu den medizinischen und organisatorischen Herausforderungen ist der Einsatz bei Terroralarm auch psychisch besonders belastend. Krankenhäuser sind Sekundärziele von Terroristen, zum Stress des eigentlichen Einsatzes kommt die Angst um das eigene Leben. Dr. Elisabeth Wentzlaff (2.v.r.), Oberärztin in der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Universitätsklinik der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität im Klinikum Nürnberg empfiehlt den Helfern als Sofortmaßnahme die sogenannte 10-Sekunden-Regel: „Alle 10 Minuten sollte man für 10 Sekunden die Augen schließen und komplett abschalten. So erlangt man eine situative Distanz, die in dem Moment ganz wichtig ist.“ Für die Zeit nach dem Einsatz rät die Psychotherapeutin, das Gespräch mit erfahrenen Seelsorgern zu suchen.
Autorin/Autor: Daniel Voigt, Doris Strahler | Unternehmenskommunikation